Die Heidelberger Druckmaschinen setzen auf Messen, Hausmessen und digitale Plattformen. smartville.digital-Interview mit Ludwig W. Allgoewer, Leiter globaler Vertrieb und Marketing, Heidelberger Druckmaschinen AG.
by Ludwig W. Allgoewer | 14. April 2021
Herr Allgoewer, die Heidelberger Druckmaschinen AG hatte sich letztes Jahr entschieden, im 2021 auf keinen Messen als Aussteller aufzutreten. War das Covid-Risiko allein ausschlaggebend oder gab es weitere Gründe?
Das ist so nicht richtig, wir werden ja einen Großauftritt an der China Print in Peking im kommenden Juni haben, sogar mit einem größeren Messestand als an der Vorveranstaltung im 2017! Heidelberg hat sich zu keinem Zeitpunkt vollständig von Messen zurückgezogen. Wir hatten uns in 2020 lediglich, gemeinsam mit großen Wettbewerbern von Heidelberg, von der geplanten Drupa 2021 zurückgezogen, weil uns die Unsicherheiten rund um Covid zu groß waren. Die Realität mit der Absage der Live-Drupa hat uns dann recht gegeben.
Aber wir betrachten Messen weiterhin als wichtige Plattformen für die Zukunft. Die großen Messen in China für die Druckbranche haben ja bereits Flächen- und Besucherzahlen wie eine Drupa und zu einer ExpoPrint in Sao Paulo kommen auch über 50'000 Besucher. Da wäre eine generelle Absage an das Medium «Messe» mit Sicherheit falsch. Fakt ist, dass sie in sich entwickelnden Märkten wie in Asien und Südamerika noch einen größeren Stellenwert haben als in den reifen Märkten.
Die spannende Frage ist, wie sich unsere Kunden und auch unsere Wettbewerber in Bezug auf eine Drupa 2024 verhalten werden. Bisher werden Messen von unseren Stakeholdern immer noch gut aufgenommen. Für die Drupa 2024 ist es noch zu früh, sich definitiv festzulegen. Aber das heißt nicht, dass wir nicht teilnehmen werden.

Ludwig W. Allgoewer: «Es stellt sich die Frage,
ob eine Drupa alle vier Jahr noch zeitgemäß ist.»
Fachleute sind sich einig: die ehemals unangefochtenen sogenannten globalen Leitmessen in Deutschland wie eine Drupa werden wegen der bestehenden Reisebeschränkungen und allenfalls einem Umdenken in den Unternehmen, was Reisedelegationen betrifft, stark rückläufig. Befinden sich Leitmessen in der Transformation?
Das ist ein interessantes Thema. Wir werden an der virtuellen Drupa teilnehmen und, wie auch bei unserer Heidelberg Innovation Week im vergangenen Oktober analysieren, wofür sich Kunden weltweit interessieren und wie sich deren Bedürfnisse weiterentwickeln. Ich gehe davon aus, dass die Zahl der TeilnehmerInnen einer digitalen Drupa anders als auf der Live-Messe keine 250'000 erreicht; nach meiner Beurteilung wird online eher eine zweistellige Tausenderzahl an Interessierten teilnehmen.
Was es auch zu beurteilen gilt: Die Innovationszyklen in unserer Industrie werden kürzer, da sich viele Innovationen im Bereich der Softwareentwicklung und Automatisierung erfolgen. Früher waren es vielleicht vier Jahre, die benötigt wurden, um eine Neuheit zu entwickeln und zu lancieren. Heute sind das teilweise zwei Jahre. Es stellt sich also die Frage, ob das Format großer Messen und ein Rhythmus von vier Jahren noch passend sind. Ich habe dazu keine vorgefasste Meinung – wir müssen uns an den Bedürfnissen unserer Industrie und unserer Kunden orientieren.
Schließlich wissen wir zum heutigen Zeitpunkt auch noch nicht, wie sich die Reisebeschränkungen entwickeln werden und – noch wichtiger – wie sich die Gewohnheiten unserer Kunden verändern werden. Werden wir in 2024, noch Ein-schränkungen haben, werden unsere Kunden in Zukunft weniger reisen und sich zunehmend digital informieren wollen? Ich persönlich gehe davon aus, dass die Zukunft in dieser Hinsicht Veränderungen bringen wird.
Messen in den Regionen Asien und Südamerika sind in einem anderen Entwicklungsstadium; analog zur Entwicklung dieser Wirtschaftsregionen nahmen die Ausstellungsfläche, die Anzahl der Aussteller und der Besucher in den letzten zwei Jahrzehnten stark zu. Wir nehmen alle vier Jahre an der China Print in Peking, der Print China im Süden des Landesund der ExpoPrint in Sao Paulo teil. Die Besucherzahlen der Messen in China haben sich zuletzt dem Niveau von Düsseldorf angenähert und Brasilien hat sich zur fünftgrössten Druckmesse weltweit entwickelt.
«Bereits an der Drupa 2016 war erkennbar, dass die Messe als Ort für Abschlüsse von Maschinenverkäufen an Bedeutung verliert.»
Der Heidelberg-CEO sagte in einem Zeitungsartikel «Für die Kosten einer Drupa kann ich 50 Hausmessen machen. Und damit kriege ich noch eine ganz andere Kundennähe hin als mit einer großen Messe.» Sind Messen für Heidelberg zu teuer geworden?
Der Vergleich der Kosten ergibt diese Größenordnung – und die Nähe zu Kunden ist zweifelsohne grösser, wenn sie diese zu einer Hausmesse bei sich einladen. Aber es kommt noch ein drittes Element in Spiel – die virtuellen Veranstaltungen wie z. B. unsere Innovation Week, die wir im Oktober 2020 erstmals als mehrtätige Onlineveranstaltung durchführten.
Diese Entwicklung hin zu digitalen Events, von Expertenrunden über Produktvorstellungen bis hin zu live-Demos von Maschinen in Interaktion mit den digital teilnehmenden Interessenten, begann schon vor Covid. Die Pandemie hat diese Formate als Alternative zu Präsenzveranstaltungen quasi erzwungen und dadurch sowohl die Professionalität in diesem Bereich beschleunigt als auch die Wahrnehmung und Gewohnheiten der Kunden verändert.
Früher waren Messen «Verkaufsräume». Viele Besucher waren de facto Interessenten, die mit einer klaren Zielsetzung anreisten, nämlich Maschinen eines zu sehen, zu begutachten, zu vergleichen und auf der Messe zu verhandeln und abzuschließen. Natürlich war auch das Get-Together in der Branche schon immer ein wesentliches Element.
Aber spätestens auf der Drupa 2016 zeichnete sich ab, dass die MessebesucherInnen Informationen sammelten und neue Themen und Technologien kennenlernen wollten. Zwar wurden auch Kaufentscheidungen ein letztes Mal verifiziert – aber es wurden nicht wirklich viele Bestellungen vor Ort entschieden, die vermutlich nicht auch ohne die Messe zustande gekommen wären.
«Wir sehen für uns in Zukunft als beste Lösung eine
wechselnde Kombination der verschiedenen Plattformen.»
Inwiefern überlegt sich Heidelberg aus Gründen der Kosten:Nutzen-Relation und dem möglichen Ausbleiben des globalen Publikums an einer Drupa im 2024, stärker auf nationale Messeteilnahmen in ihren Zielmärkten anstatt in Deutschland zu setzen?
Als Marktführer sind wir in allen relevanten Märkten mit unseren eigenen Tochtergesellschaften vertreten. Dort führen wir in den großen Märkten regelmäßig Hausmessen durch. Als großer Hersteller verfügen wir natürlich über andere Möglichkeiten als kleinere Unternehmen. Aber – wie schon gesagt - für Heidelberg ist es entscheidend, dass wir uns entsprechend den Erwartungen der Kunden aufstellen. Natürlich muss auch die Rechnung aufgehen, das heisst, dass Kosten und Nutzen für uns in einem sinnvollen Verhältnis stehen müssen. Und wo für unsere KundInnen Messen eine wichtige Grundlage für ihre Entscheidungen über Investitionen sind und bleiben, wird auch Heidelberg mit einem zeitgemäßen Auftritt dabei sein.
«An der ersten virtuellen Drupa vom 20. – 23. April 2021
nehmen wir mit Heidelberg natürlich teil.»
Im 2021 findet die Drupa virtuell statt. Die Messe Düsseldorf hat mit virtuellen Messen ja bereits erste Erfahrungen gesammelt. An der ersten virtuellen Drupa vom 20. – 23. April 2021 nehmen wir als Heidelberg natürlich teil, zusammen mit vielen anderen Markteilnehmern. Wir sehen das als Experimentierfeld für unsere gesamte Branche, um zu beurteilen, ob sich virtuelle «Großmessen» bewähren und wie diese von unseren Klienten angenommen werden.
Am Ende des Tages geht es darum, möglichst viele Kunden mit einem ökonomisch vertretbaren Aufwand zu erreichen. Wir sehen für uns in Zukunft als beste Lösung eine wechselnde Kombination der verschiedenen Plattformen, nämlich große Publikumsmessen, Hausmessen und digitale Events, zeitgleich oder auch in gestaffelt, und angepasst an die jeweiligen Märkte und Regionen.
Im Rahmen der China Print werden wir erstmals eine solche Kombination mit allen Facetten einsetzen, da aufgrund der Reisebeschränkungen der Pandemie viele Interessierte nicht anreisen werden können.
«Die sozialen und emotionalen Elemente einer Messe lassen sich nicht
oder nur sehr eingeschränkt im digitalen Raum darstellen.»
Wenn die Strategie im Messemarketing überprüft werden muss oder Veränderungen unterliegt – wie akquiriert Heidelberg neue Kunden?
Da sind wir bei der berühmten Frage von Henry Ford angekommen, welcher Teil des Marketingbudgets den relevanten Return bringt…
Es ist kein Geheimnis mehr, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis eines professionell gemachten Events im virtuellen Raum besser sein kann, als das mancher Präsenz-Veranstaltungen. Nachdem wir im Februar 2020, als Covid erst am Horizont erschien - damals noch in der Hoffnung, dass die Drupa im 2020 live stattfinden wird – unseren «Sneak Preview» als ersten, größeren digitalen Anlass vorbereitetet und durchgeführt hatten, war klar, dass gut funktionierende digitales Format einer professionellen Vorbereitung bedürfen.
Präsenz-Veranstaltungen werden aber in jedem Fall auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen, da sie Dimensionen und Möglichkeiten bieten, die ein virtueller Raum nicht ersetzen kann. Die sozialen und emotionalen Elemente einer Messe oder Hausmesse wie Gespräche mit Marktbegleitern und Branchenkollegen, Treffen mit alten Bekannten, das spontane Entdecken neuer Dinge, lassen sich nicht oder nur sehr eingeschränkt in digitalen Raum darstellen.
Es bleibt spannend, in welche Richtung sich die Bedürfnisse unserer Kunden diesbezüglich entwickeln werden. Welche Quellen für Information zukünftig an Bedeutung gewinnen und genutzt werden, wie sich Auswahl- und Entscheidungsprozesse gestalten werden und welche Rolle Publikumsmessen in diesem Kontext in unserer Branche dann einnehmen werden, gilt es genau zu beobachten.
Eines ist sicher: Messen in den reifen Märkten werden in Zukunft keine Verkaufsräume mehr sein. Welche Rolle sie als Plattform für die Imagebildung der Aussteller, als Treffpunkt der Branche und als soziale Plattform für persönliche Kontakte zukünftig spielen werden, bleibt abzuwarten und wird primär von unseren Kunden entschieden werden.
«Wichtig ist einfach, dass sich Messeveranstalter
zusammen mit der Branche flexibel an die sich
verändernden Bedürfnisse unserer Kunden anpassen.»
Wie ist bei Heidelberg die Stimmungslage, was erhoffen Sie sich von der Messeleitung im Hinblick auf die Drupa 2024?
Das ist eine gute Frage. Wir tun uns schwer, dazu heute eine konkrete Ansage zu machen. Wir sprechen über einen Zeitraum von drei Jahren, der vor uns liegt und in dem sich noch viel verändern kann und wird – angestoßen durch die Pandemie und die zunehmende Digitalisierung. Wir werden diese Entwicklungen zusammen mit dem Veranstalter sehr genau beobachten und als Aussteller auch mitgestalten wollen. Wichtig ist, dass wir flexibel bleiben, und diese Veränderungen verstehen, aufgreifen und in einer für unsere Kunden und passend zu unserer Branche adäquat umsetzen. Wir haben ja genügend Vorlaufzeit, uns darauf einzustellen, und ich gehe davon aus, dass wir im Laufe des nächsten Jahres ein klareres Bild haben werden, wie sich die Entwicklung gestaltet.
Interview: Urs Seiler
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