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Konjunkturell bedingter Rückgang in der Fahrradbranche: Folgt jetzt auf der Eurobike der Turnaround?

Das Joint-Venture der Messe Friedrichshafen mit der Messe Frankfurt zur Fairnamic im Juli 2022 war ein souveräner, intelligenter Schachzug für beide Messeplätze und hat die jetzt bevorstehende etablierte Weltleitmesse Eurobike beflügelt. Stefan Reisinger, Messeleiter der Eurobike, spricht über eine neue Dynamik und einen bevorstehenden Turnaround in der Fahrradbranche.

 

von Stefan Reisinger || 5. Juni 2025



Die Messe Friedrichshafen hält 51 Prozent der Anteile an der Fairnamic, die Messe Frankfurt 49 Prozent.

 

Herr Reisinger, vom 25. - 29. Juni findet die dritte Eurobike von Fairnamic, dem Joint-Venture der Messe Friedrichshafen und der Messe Frankfurt in der hessischen Hauptstadt und nicht mehr wie früher in Friedrichshafen statt. Das ist ein wirtschaftlicher Verlust für die Stadt Friedrichshafen und ein Gewinn für Frankfurt. Wie ist ihre Stimmungslage heute als früherer Mitarbeiter der Messe Friedrichshafen? Ein weinendes oder ein lachendes Auge?

Unsere Stimmungslage ist total positiv, trotz aktuell herausforderndem Marktumfeld in der Fahrradbranche, auch im Rückblick betrachtet, wir haben vor vier Jahren, als nach Covid alle Messeveranstalter ihre Konzepte hinterfragten, mit dem Joint-Venture zur Fairnamic die richtigen Entscheidungen getroffen, nicht nur für die Eurobike in Frankfurt, sondern auch für die Aero. Auch diese hat sich - am Standort Friedrichshafen - großartig entwickelt.

 

Die Eurobike in der Messe Frankfurt wird flächenmässig im Juni 2025 mit 130‘000 Quadratmetern wesentlich kleiner als im 2024 mit 150‘000 Quadratmetern. Was ist der Grund? Welche Herausforderungen im Markt kommen auf die Fahrradindustrie und damit auf die Eurobike zu?

Lassen Sie uns für diese Analyse einen Schritt zurück gehen.

 

In Friedrichshafen kam die Eurobike zu den besten Zeiten auf 100'000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Das Gelände lässt nicht mehr zu.

 

Mit dem Umzug nach Frankfurt konnten wir ein sprunghaftes Wachstum verzeichnen, das in einen Rekord von 150'000 Quadratmetern gipfelte. Der Grund war, dass die Fahrradbranche zu einem Gewinner der Covidphase wurde, weil die Nachfrage während der Pandemie in ungeahnte Höhen schnellte. Die Menschen konnten nicht mehr reisen und hatten sich mit Freizeitartikeln wie Fahrräder, Wanderausrüstung oder auch Wohnmobilen und Booten ausgestattet.

 

Natürlich wurde in diesen Boomzeiten in massive Ausweitungen des Geschäfts investiert. Von den Herstellern wurde, im Hinblick darauf, dass das jetzt so weitergehen würde, massiv eingekauft. Dann plötzlich entstanden große Lieferkettenprobleme, aber irgendwann kamen die Produkte und die Bestellungen wurden erfüllt. Gleichzeitig war in den wichtigen Märkten die Nachfrage zurückgegangen.

 

Schlußendlich hat das dazu geführt, dass die Fahrradbranche in den letzten drei Jahren mit deutlich sinkenden Absatz- und Umsatzzahlen zu kämpfen hatte. Von dieser Entwicklung können wir uns als Messe nicht abkoppeln. Der Markt war zuletzt rückläufig und ist wieder auf einem Vorpandemieniveau angekommen.

 

Entsprechend müssen auch wir  wir als Messeveranstalter etwas kleinere Brote backen. Alle gehen aber davon aus, dass wenn dieser konjunkturell bedingte Rückgang durchgestanden ist, die Fahrradbranche wieder auf einen Wachstumskurs zurückkehrt, sogar schon im Jahr 2026.

 

Die Eurobike hat sich seit der Austragung in der Messe Frankfurt zu einer breiter gefassten Mobilitymesse erweitert. Geht diese Erweiterung weiter und in welche Richtung? Könnte es sein, dass das Mobilitätsthema bis hin zur Automobil-Industrie reicht?

Mit dem Umzug nach Frankfurt haben wir die Expansion der Eurobike in Richtung Mobilität noch einmal stärker vorangetrieben. Die Elektrifizierung des Fahrrades ist seit rund 15 Jahren zunehmend Umsatztreiber der Branche und E-Bikes sind für viele Menschen zum bevorzugten Verkehrsmittel geworden.

 

Das Ecomobility-Segment ist ein prosperierender Zukunftsmarkt zwischen Fahrrad und Elektromobilität bis hin zu Microcars wie des Schweizer Ausstellers Ouboter, den wir mit der EUROBIKE bestens abbilden können. Der Trend geht in Richtung Kleinst- respektive Transportfahrzeuge für Kurzstrecken mit kleinen Transportvolumen. Dazu gab es vor der Eurobike noch keine eigenständige Messeplattform. Wir sehen hier nicht nur einen zusammenwachsenden Mobilitätsproduktemarkt, sondern gleichzeitig auch viele Synergien bei Zulieferern und Komponentenherstellern sowie auf der Absatzseite.

 

Das klassische Automobil wird auch zukünftig nicht Teil des EUROBIKE-Portfolios sein. Vom Scooter bis zum elektrischen Microcar reicht die Bandbreite, wobei Fahrräder beziehungsweise E-Bikes, sprich aktive Mobilitätsprodukte Kernthema der EUROBIKE bleiben.

 

Sie haben auch erwähnt, eine hohe Priorität der Eurobike bestehe darin, sie von einer klar positionierten Fachmesse in eine Konsumentenmesse zu erweitern, weil das Thema Endkunden, die die Eurobike besuchen, sehr wichtig geworden sei. Weshalb?

Auch da liegt die Entscheidung, dass wir uns stärker in Richtung Konsument öffnen, drei Jahre zurück. Wir hatten mit dem Umzug der Eurobike nach Frankfurt bereits ein Festivalwochenende eingeführt mit zwei Publikumstagen. Seither haben wir diesen Endkundenpart der Eurobike sukzessive ausgebaut.

 

Unser Ziel ist es, dass die Eurobike in beiden Segmenten zu Hause ist. Aus unserer Sicht sind das zwei gleich starke tragende Säulen der Veranstaltung, die jeweils ihre absolute Berechtigung haben.

 

Unsere Kunden können wählen und sich ausschließlich an den Fachtagen oder an den Festivaltagen präsentieren, allerdings nehmen mehr als  90 Prozent der Aussteller an der Gesamtveranstaltungen teil.

 

Anderseits haben Sie noch am 9. April angekündigt, den Fachhandel auf der Eurobike 2025 mit einem maßgeschneiderten Fachhandelsprogramm in den Mittelpunkt zu rücken. Welche Erweiterung ist wichtiger?


Wir bauen unsere Kompetenz in beiden Welten aus.

 

Im fachlichen Teil der EUROBIKE kommen neue Formate, Themen und strategische Partnerschaften dazu, damit wir uns auch da mit neuen Modulen immer stärker differenzieren und mehr InteressentInnen erreichen können. Gleichzeitig bauen wird das Programm für Endkunden aus, es ist keine Einbahnstrasse beides, das Business:to:Business- und das Endkundengeschäft haben die gleiche Priorität.

 

In derselben Pressemitteilung sagen Sie: «Wir wollen unseren Beitrag leisten, mit der Eurobike 2025 die Trendwende für die Branche zu initiieren.» Wie optimistisch sind Sie, dass die Eurobike das auslösen kann mit welchen Hoffnungen und Erwartungen?

Wir sind da wirklich positiv und voller Zuversicht, dass wir mit der Eurobike einen Beitrag leisten können, damit die Fahrradbranche nach schwierigen Jahren mit einem rückläufigen Geschäft zurück auf die Erfolgsspur kommt.

 

Die Eurobike ist die Plattform, auf der man eine solche Trendwende mitgestalten will und in die Welt hinaustragen kann. Bereits die Jahre 2023 und 2024 waren für die Fahrradbranche aufgrund von wirtschaftlichen Rückgängen schwierig, und schon damals konnte die Eurobike positive Signale und Impulse setzen.

 

Gerade in schwierigen Zeiten ist der persönliche Austausch auf Messen durch nichts zu ersetzen.

 

Die Fairnamic hat mit der Velo Berlin und den Fahrradmessen in Jakarta und Istanbul weitere Mobilitätsmessen jenseits des Heimstandorts in Frankfurt. Welche Ziele verfolgt die Fairnamic damit?

Global gibt es für die Fahrrad- und auch die Ecomobilitätsbranche spannende Wachstumsmärkte mit regionalen weissen Flecken von Ländern, die noch kaum erschlossen sind. Unser erklärtes Ziel ist es, solche Zukunftsmärkte, gemeinsam für und mit der Branche, zu entwickeln.

 

In Indonesien zum Beispiel, einem Land mit 350 Millionen EinwohnerInnen, wo soeben unsere zweite Asiabike Jakarta stattgefunden hat, wird noch stark mit benzingetriebenen Scootern gefahren, aber die Regierung unternimmt starke Anstrengungen, die Elektromobiliät zu fördern.

 

Hier können wir für die Fahrrad- und Ecomobility-Branche neue Marktchancen eröffenen. Aus dem beschaulichen Friedrichshafen allein hätten wir eine solche Expansion nicht vorantreiben können. Da ist die Allianz mit der Messe Frankfurt mit ihrem langjährig erprobten internationalen Netzwerk für uns ein absoluter Gewinn, ohne  diese Partnerschaft wären diese Expansions-Schritte – auch für die AERO beispielsweise in China -  nicht möglich gewesen.

 

Welche digitalen Hilfsmittel wie eine App bietet Fairnamic seinen Aussteller- und BesucherInnenkundInnen und wie haben die sich bewährt? In welchem Masse werden zum Beispiel Matchmakingfunktionen auch tatsächlich genutzt? Was ist Ihre «digitale Mission», wie viel Digitalität ist wichtig für eine Messe?

Wir setzen durchaus auf Onlinetools. Sowohl für die Aero als auch die Eurobike haben wir Apps im Einsatz, die gut und stark genutzt werden.

 

Matchmaking ist dabei nur eine Funktion. Gemäß unserer Erfahrung werden die Apps vor allem zur Orientierung genutzt, um Aussteller in den Hallen zu verorten oder um sich beispielsweise  Besuchstouren zusammen zu stellen. Die Gesamtheit der Funktionen steht für uns im Zentrum.

 

Die Nutzerzahlen haben sich in den letzten Jahren gut entwickelt, wir haben klare Anzeichen, dass sich unsere Kunden mehr und mehr mit digitalen Werkzeugen vertraut machen. Digitalität hilft uns auch, Printkosten und den CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Aber nicht nur.

 

Die gesamte Website-Technologie mit sämtlichen Funktionalitäten findet man nicht nur auf der App, sondern auch auf der Website der Eurobike. Für die Eurobike Website und App nutzen wir die Systeme der Messe Frankfurt und haben auch dort Synergien bei Funktionalitäten und Weiterentwicklung hergestellt.

 

Seit der Gründung der Fairnamic erkennt man bei der Messe Friedrichshafen und ihren Messen eine entfesselte Dynamik. Welchen Motivationsschub hat Ihnen und der Messe Friedrichshafen das Joint-Venture gegeben?

Ich freue mich natürlich, dass das von aussen so wahrgenommen wird.

 

Unsere beiden Gesellschafter, die Messe Friedrichshafen und die Messe Frankfurt sind sehr unterschiedlich hinsichtlich Größe, Struktur und Prozessen, trotzdem ist es gelungen, die jeweiligen Stärken beider Unternehmen in der fairnamic zu bündeln. So übernimmt diie Messe Friedrichshafen beispielsweise für die Fairnamic  administrative Aufgaben wie Buchhaltung, Controlling, Personalwesen von beziehungsweise in Frankfurt nutzen wir digitale Tools, Onsite-Services und deren internationales Netzwerk. Die Fairnamic selbst hat ihren Unternehmenssitz in Friedrichshafen auf dem Messegelände, jedoch in eignen Büro-Räumlichkeiten.

 

Ein Grund für die neue Motivation und den bisherigen Erfolg der Fairnamic liegt sicherlich darin, dass wir die Überlegungen und Planungen zum Joint-Venture  bisher gut in die Realität umsetzen konnten.

 

Gleichzeitig hat die Messe Friedrichshafen nach Covid wieder sehr gut Fuß gefasst – zuletzt zum Beispiel mit Rekordbeteiligungen der Klassikwelt Bodensee und der Tuning World, beide in diesem Frühjahr.

 

Für die Messe Friedrichshafen hat sich dank dem durch den EUROBIKE-Umzug nach Frankfurt frei werdenden Terminfenster im Herbst die Möglichkeit ergeben, die hochkarätige, internationale Leitmesse Americana nach Friedrichshafen zu holen.

 

Auch die AERO, unser zweites wichtiges Projekt in der Fairnamic und am Standort Friedrichshafen war ein voller Erfolg mit Zuwächsen bei Ausstellern, Besuchern, Zahl der Flugzeuge vor Ort und hinsichtlich der Relevanz in dem wichtigen Segment „Business Aviation“. Dieser Erfolgt zahlt sowohl auf die Fairnamic als auch die Messe Friedrichshafen als Venue und Ausrichtungsort ein.


Die Gründung der Fairnamic hat allen Beteiligten einen Motivationsschub verliehen und auch mir persönlich, da ich meinen Teil zur Entwicklung beitragen konnte. Mit der Fairnamic haben sich die beiden Gesellschafter eine wegweisende Konstellation  in wichtigen Zukunftsbranchen geschaffen.

 

Bitte beenden Sie den folgenden Satz: «Wenn am 25. Juni die Eurobike in Frankfurt öffnet,  ...

... werde ich zuversichtlich und voller Freude in die Zukunft blicken, weil ich tatsächlich fest daran glaube, dass wir mit der Eurobike einen wichtigen Impuls für den Turnaround in der Fahrradbranche setzen werden.»

 

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