Wo früher ein Preiswettbewerb unter Messebaufirmen herrschte weht seit der Aufhebung der Covidrestriktionen und der Ballung von Messen und Events ein neuer, positiver Wind. Fazit des schweizerischen Messebautalks vom 25. Mai.
by Urs Seiler | 10. Juni 2022
Personalengpässe, Lieferschwierigkeiten und Preissteigerungen (wie im Rest der Wirtschaft) prägen das Geschäft der Messe- und Eventdienstleister – und das ihrer Auftraggeber.
Wer heute noch einen zuverlässigen Eventdienstleister hat, kann sich glücklich schätzen. Das kann auch den gefürchteten Auftragswettbewerben (Pitches) einen neuen Atem geben.
Die Wirtschaft braucht jetzt wieder Messen
Die Wirtschaft braucht jetzt wieder Messen, weil sie im Marketingmix unersetzlich sind. Das Messerevival seit der Aufhebung der Covid-Restriktionen von der Bea Bern über die Luga in Luzern bis zur OFFA in St. Gallen ist der Nachweis. (Bild oben: Der Luga Club der Messe Luzern)
«Unsere Kunden sind alle sehr zufrieden mit ihrem Messe-Erfolg im 1. Semester 2022. In einer Umfrage unter vielen Auftraggebern sagten alle, ihre Messen seien über Erwarten gut gelaufen», sagt Andreas Messerli, Verwaltungsratspräsident am Messebautalk am 25. Mai 2022. Und was seine eigene Firmengruppe betrifft: «Wir sind bei den meisten Firmengesellschaften über dem Vor-Corona-Budget von 2019.»
Teilweise zurückhaltend ist die eventtreibende Wirtschaft, was die Durchführung von Messen und Events im 2. Semester 2022 betrifft, zu gross sind die Bedenken über eine Wiederkehr des Covid-Virus.
Angeführt werden auch Argumente, die zwar falsch sind, sich aber hartnäckig halten, nicht erst seit Covid. Drei falsche Argumente:
«Wir können uns das nicht mehr leisten»
Nicht erst seit Covid hört man in der ausstellenden Wirtschaft das Argument, man können sich Auftritte auf Messen nicht mehr leisten. Messen haben den Ruf, teuer zu sein (wenn man den Return ausser Acht lässt) und bekanntlich wird in einer Rezession das Werbe- und Marketingbudget zuerst gestrichen.
Das ist aus dem Grund falsch, als der Umkehrschluss wäre, dass man als Aussteller auf Messen teilnimmt, weil man es sich leisten kann. Anstatt mit Messe-Instrumenten den Erfolg nachzuweisen. Antizyklisch werben nennt man es, wenn man auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten an den wichtigsten Marketinginstrumenten festhält. Dafür muss natürlich in guten Zeiten ein Budget freigestellt werden.
«Wir können gar nicht mehr liefern»
Namentlich Industrie-Unternehmen (vergleiche die smartville.digital-Coverstory zur Hannover Messe 2022) haben zur Zeit, kriegs- und logistikbedingt Schwierigkeiten, neue Maschinen herzustellen. Sie befinden sich in einem ähnlichen Materialengpass wie die Messewirtschaft.
Nichts wäre aber falscher, als aus diesem Grund auf eine Messeteilnahme zu verzichten. Messen haben sich in den letzten zwanzig Jahren von einer Exponatebühne zu Kommunikationsplattformen gewandelt. «Entmaterialisierte» Messen bieten die Chance, wieder qualifiziertere Verkaufsgespräche auf Messen zu führen anstatt bloss Produkteshows. Das Gleiche gilt für die manchmal gehörte Aussage, das auf Messen nicht mehr wie früher Aufträge geschrieben würden. Das ist erstens ein Urteil, das so nicht stimmt. Zweitens sind persönliche Begegnungen eine 1A-Gelegenheit, ein Geschäft anzubahnen.
«Die Messe hält uns vom Tagesgeschäft ab»
Kaum eine Aussage hält sich so konsequent wie das von Verkäufern, dass die Messe vom Tagesgeschäft abhalte. Das Gegenteil ist der Fall. Messen sind Tagesgeschäft. Erfahrene Aussteller wissen das. Sie sehen Messeauftritte nicht als zusätzlichen Aufwand im Verkaufsprozess, sondern als das eigentliche Fundament im Vertrieb und den Höhepunkt in der Jahresagenda.
«Wir kennen unsere Kunden» ist auch ein beliebtes Argument von Verkäufern gegen das Medium Messen. Aber kennen unsere Kunden auch uns? Gemäss Forrester verloren im Jahr 2020 in den USA mindestens 1 Million Verkäufer ihren Job, weil sie sich nicht auf das veränderte Kommunikationsverhalten (auf sozialen Netzwerken!) der Millennialgeneration eingestellt hatten. Der Millennial-Kunde will sich zuerst online über ein Unternehmen orientieren. Um dann, im persönlichen Gespräch, Vertrauen herzustellen. Das geht auf dem Internet nicht.
Neues Pitchverhalten der Wirtschaft?
Aufgrund der Unsicherheiten in der Lieferkette und mit Materialpreisen haben Anwesende am Messebautalk begonnen, «preisvariable Offerten» abzugeben mit der Option von Preisänderungen, wenn sich die Rohstoffpreise zu stark verändern. (Bild oben: die OFFA in St. Gallen)
Trotz Materialknappheit, Personalengpässen und umweltbedingt steigenden Einkaufspreisen geht es der dienstleistenden Live Kommunikationswirtschaft post-Covid gut bis sehr gut.
Die auftraggebende Wirtschaft gewöhnt sich langsam an steigende Preise, weil sie die Gründe kennt. Und Covid sei Dank scheint sich auch im berüchtigten Pitchverhalten (unbezahlte Auftragswettbwerbe, Ideenklau) eine Morgenröte abzuzeichen.
Angesichts der erwähnten Schwierigkeiten, mit denen die Live Kommunikationswirtschaft zu kämpfen hat, kommt Bewegung auch in das Pitchverhalten. Die eventtreibende Wirtschaft ist heute stärker bereit, Pitches zu honorieren und sie nicht mehr an zahllose Anbieter zu vergeben. Und anstelle von Auftragswettbewerben ein qualitatives Gespräch mit wenigen oder nur einem Auftraggnehmer zu führen.
«Unsere Kunden verstehen, dass wir, Auftraggeber und Auftraggnehmer, im gleichen Boot sitzen. Die Aufgabe des Messebauers besteht deshalb darin, seinem Kunden ein Beratungsangebot anzubieten, nicht ein Verkaufsangebot» sagt einer der anwesenden Messebauer «alles ist eine Sache der Kommunikation.»
«Wir haben während Covid-19 unser Messebauunternehmen transformiert. Wir konzentrieren uns jetzt hauptsächlich auf das regionale Geschäft. Uns geht es gut» sagt ein anderes Messebauunternehmen.
Auch Covid-19 hat zur Zeitenwende im Dienstleistungsgeschäft in Live Kommunikation beigetragen. «Bei uns hat sich die Lage unheimlich entspannt. Wir sind sehr dankbar für die raschen, unbürokratischen Kurzarbeithilfen des Bundes» war eine Art Fazit des Messebautalks vom 25. Mai von Andreas Messerli.
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