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«Sicherheit und Fröhlichkeit zusammenzubringen ist herausfordernd»

Es gibt Märkte, für welche Messen nicht mehr das richtige Marketinginstrument sind, sagt Christine Bolt. Sie ist seit dem 1. Oktober 2020 Direktorin der Olma Messen St. Gallen. Sie spricht zur Zukunft von Messen und dem Flaggschiff Olma.


by Christine Bolt | 17. November 2020

Guten Tag Frau Bolt, was beschäftigt Sie zu den Olma Messen zur Zeit am meisten?

Grundsätzlich ist mein Blick in die Ferne gerichtet, ich arbeite an strategischen Themen und bin deshalb sehr zuversichtlich. Herausfordernd ist die Planung der kommenden, unsicheren Monate und aktuell mache ich mir viele Gedanken über das Wohlergehen meiner Kolleginnen und Kollegen. Ich hoffe sehr, es geht allen gut und sie können der aktuellen Situation auch Positives abgewinnen.


«Wir wurden ins eiskalte Wasser geworfen, aber

wir werden nach der Krise besser schwimmen können als vorher.»


Wenn Sie an Covid-19 denken, an Ihre Wahl als CEO der Olma Messen kurz vor Covid-19: Was geht Ihnen da durch den Kopf?

Ich zitiere aus einem Lied von Manuel Stahlberger: «Jede Scheiss isch e Chance». Wir haben viel gelernt und bewegt in den vergangenen Monaten, wir haben mutige Entscheidungen getroffen und packen strategische Herausforderungen schneller an als geplant. Das wäre im normalen Modus nicht möglich gewesen. Wir wurden ins eiskalte Wasser geworfen, aber wir werden nach der Krise besser schwimmen können als vorher. Ich kann sehr gut Rahmenbedingungen akzeptieren und ich habe gelernt, schnell und proaktiv auf neue Spielregeln zu reagieren. Hadern bringt nichts, ich suche Handlungfelder und schaue vorwärts.

Fachleute prognostizieren, dass in der Schweiz ein Viertel bis ein Drittel aller Messen verschwinden werden. Auf der Ebene von Publikumsmessen war das ja bereits vor Covid-19 der Fall. Wie beurteilen Sie diese Prognosen?

Ob eine Publikumsmesse überlebt oder nicht hängt von sehr vielen Faktoren ab. Publikumsmessen mit Erlebnis- und Kultcharakter und klarer Positionierung haben sehr gute Chancen, gerade nach Corona. Die Frage ist also nicht ob Publikumsmessen überleben, sondern wie. Und doch: für einige Märkte bin ich skeptisch, da wird es eine Bereinigung geben. Wie groß diese sein wird, weiss ich nicht.


Wenn sie eintrifft, woher soll die Wertschöpfung von Unternehmen wie den Olma Messen kommen?

Wir werden alles daransetzen, unsere erfolgreichen Messen weiterzuentwickeln und wie bereits gesagt: Wenn wir unseren Job gut machen, dann bin ich zuversichtlich. Zudem investieren wir in den Ausbau unseres Bereiches CongressEvents, der seit einigen Jahren stetig wächst und Potential hat.


«Es gibt Märkte, für welche Messen nicht mehr

das richtige Marketinginstrument sind.»


Hat Covid-19 die Messekrise verursacht oder sie nur beschleunigt?

Die Messekrise gibt es als solche nicht. Es gibt Märkte, für welche Messen nicht mehr das richtige Marketinginstrument sind. Da hat Covid-19 die Entwicklung wohl beschleunigt. Gut positionierte Fachmessen sowie breit abgestützte, erlebnisorientierte Publikumsmessen werden auch in Zukunft funktionieren.


Wie erfolgreich waren die Bierprobier-Messe und die Pätch-Messe während der Covid-Ära? Würden Sie sie wieder durchführen?

Bierprobier haben wir dieses Jahr bereits zum zweiten Mal durchgeführt, allerdings erstmals und hoffentlich einmalig im «Corona-Format».

Bierprobier und Pätch würden wir wieder durchführen. Für unsere Besucher, für unsere Aussteller, für unsere Mitarbeitenden, für unsere Lernkurve, für die Ostschweiz, für Leben auf dem Gelände, für uns. Unser Credo lautet: Wir können Corona. Das soll nicht überheblich klingen, sondern aussagen, dass wir die Herausforderung Corona angenommen haben und uns jederzeit den aktuellen Rahmenbedingungen stellen können.

Unsere Haltung und unsere Flexibilität haben uns sehr viel Goodwill entgegengebracht. Bezüglich der Wertschöpfung sind wir hier allerdings weit entfernt von der Masse und damit weit weg von unserem eigentlichen Geschäft.

Insbesondere Pätch war sehr anspruchsvoll. Kurz vor Pätch begannen die Fallzahlen rasant zu steigen, die Nervosität bei Ausstellern und in der Bevölkerung nahm merklich zu, und es war herausfordernd, Sicherheit und Fröhlichkeit zusammenzubringen.


Im Frühjahr 2019 wurde das Neubauprojekt der Olma Messen über 164 Millionen Franken vom Stimmbürger angenommen. Ein Argument der Olma Messen war es, «um im nationalen Messewettbewerb wettbewerbsfähig zu bleiben». Stehen wir jetzt vor einer vollkommen neuen Situation angesichts des Messesterbens und der Covid-19-Krise? Wie geht es jetzt weiter mit diesem Projekt?

Wie gesagt: Messen und Live-Kommunikation werden nicht sterben, und ich freue mich schon sehr auf die OLMA-Eröffnung 2023. Unsere neue Halle ist das Kernstück unserer Strategie. Sie ersetzt eine alte, nicht mehr marktfähige Halle und wird die Positionierung der Region St.Gallen als Kongress- und Messe-Stadt auf sympathische, selbstbewusste Weise stärken. Der Bau schreitet gut voran, und die Baustellenführungen erfreuen sich großer Beliebtheit. Die Bevölkerung hat übrigens nicht zum 164-Millionenprojekt Ja gesagt, sondern zu den 18 Millionen, welche die Stadt St.Gallen dazu beiträgt. Die Halle ist wie folgt finanziert: 18 Millionen Franken übernimmt die Stadt St.Gallen, 12 Millionen der Kantons St. Gallen (Das Ja durch den Kantonsrat musste nicht vors Volk), 2 Millionen das Agglomerationsprogramm des Bundes und 132 Millionen, also der weitaus größte Betrag durch die Olma Messen St.Gallen, davon CHF 114 in Form eines Konsortialkredites.


Zur Zeit macht der Begriff der «hybriden» Messe die Runde. Was ist davon zu halten?

Als passionierte und überzeugte Marketingfrau vertrete ich die Meinung: Ein durchdachtes 360-Grad-Marketingkonzept hat digitale und analoge Komponenten, ist virtuell und real. Dabei ist es wichtig, dass die Kanäle bezüglich Botschaften, Zielgruppen und Zielsetzungen richtig eingesetzt werden und dass sich die verschiedenen Maßnahmen gegenseitig verstärken. Je digitaler die Welt, desto wichtiger ist ein gut konzipierter und eben auch digital begleiteter Live-Auftritt. Auch wir sind daran, unsere Hausaufgaben zu machen und wer weiss, vielleicht lässt sich damit auch Geld verdienen.

Im April 2019 haben die Olma Messen eine Kooperation mit der Messe Luzern verkündet für eine digitale Messe mit dem Titel «Farming Plus». Wie geht es jetzt weiter mit diesem Projekt? Wird es mangels persönlicher Treffen jetzt forciert oder mangels Umsatz auf’s Eis gelegt?

Farming.plus ist keine digitale Messe, sondern die digitale Erweiterung von drei Landwirtschafts-Fachmessen in der Zeit zwischen den Durchführungen. Zwei dieser Messen, die Suisse Tier Luzern und die Fruchtwelt Bodensee in Friedrichshafen finden turnusgemäß erst in einem Jahr wieder statt. Für die im kommenden Februar vorgesehene Tier&Technik wurde Farming.plus optimiert und besser mit der Messe-Webseite verknüpft. Ob bei einer allfälligen Absage der Tier&Technik eine besondere Intensivierung der Aktivitäten auf Farming.plus vorgesehen ist, können wir aktuell nicht sagen. Generell ist die Landwirtschaftsbranche in der Schweiz gegenüber digitalen Kommunikationsangeboten noch skeptisch. Farming.plus verfolgt aber eine langfristige Strategie.


Die Ostschweizer Ferienmesse «Grenzenlos» und die Camping und Freizeitausstellung 2021 wurden bereits abgesagt. Inwiefern haben Sie sich schon einmal mit einer möglichen Nicht-Austragung des Flaggschiffs «Olma» auseinandergesetzt. Zu welchem Schluss sind Sie gekommen?

Die OLMA 2021 wird stattfinden! Wir haben aktuell keinen Grund, nicht daran zu glauben. Die diversen Mitteilungen zu den Impfstoffen stimmen mich sehr zuversichtlich. Ich bin überzeugt, dass die ganze Welt alles daransetzt, so bald wie möglich wieder ein normales Leben zu ermöglichen.


Messebau-Unternehmen sind, da ihr Kerngeschäft zur Zeit wegen Covid-19 wegfällt, in Agonie. Jetzt kommt eine neue Furcht dazu: dass Messeveranstalter nur noch auf digitale Messen setzen. Was ist Ihre Botschaft?

Messe ist Live-Kommunikation. Diese kann mit digitalen Kanälen besser gemacht und verlängert werden, aber sie wird sie niemals ersetzen können. Das Wesen der Messe ist live, und digitaler Verkauf ist erfolgreich in Form von gut gemachten Online-Shops. Eine virtuelle Messe macht so gesehen keinen Sinn. Ich bin überzeugt: Der Mensch mag den Kontakt, den Austausch, das Erlebnis, die Überraschung. Der Mensch ist ein soziales Wesen und lebt ein Stück weit davon. Ein Leben ohne persönliche Begegnungen und reale Kauferlebnisse wäre für mich wie intravenöse Ernährung, diese kann in gewissen Situationen hilfreich sein, ist aber spaß- und sinnfrei.


Interview: Urs Seiler

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