Corona hat den Prozess in Richtung neuer Arbeitswelten beschleunigt. Sie müssen in Zukunft anders bespielt werden. Kurzinterview mit Dieter Wolff und Guido Mamczur von d’art design, Neuss, Berlin und Seoul.
by Dieter Wolff (links), Guido Mamczur | 10. Februar 2022
In Kürze
«Das inspirierende Moment entsteht in physischen Begegnungen,
in ungeplanten Gesprächen.»
«Es entstehen fließende Übergänge von privater und Arbeitssituation.
So entsteht aus der binär getakteten Work-Life-Balance
ein neuartiger Work-Life-Flow.»
«Keine, weder temporäre noch permanente noch digitale Welt, funktioniert allein für sich.
Es ist die Kombination, die ihre Stärke ausmacht.»
Dieter Wolff, Guido Mamczur, was beschäftigt Sie heute am meisten?
d’art design ist zurzeit leider wieder zurück im Home Office. Das ist es, was uns am meisten beschäftigt.
Wir haben zwar schon vor Covid gelernt, mit neuen digitalen Kommunikationsmitteln effizient aus der Distanz zu arbeiten. Remote work ist kein Fremdwort, sondern willkommener Alltag in unseren Büros in Berlin, Seoul und Neuss.
Covid hat diesen Prozess gefördert und beschleunigt. Wir haben erlebt, wie gut es sich online zusammenarbeiten lässt. Wir haben gesehen, dass trotz remote work der Zusammenhalt der Mitarbeitenden durchaus vorhanden ist. Mit diesen Erkenntnissen haben wir in unserer Agentur ein funktionierendes neues Arbeitssystem entwickelt. Es beruht auf großer Eigenbestimmtheit und Eigenverantwortung ohne fixierte Bürozeiten. Das ist ein positiver Prozess.
Aber sich nur noch auf einem Kanal – online – zu treffen, ist schwierig. Was fehlt ist das zufällige, das inspirierende Moment. Dieses entsteht in physischen Begegnungen, in nicht geplanten Gesprächen. Ein solches kann häufig zu zweit beginnen – und als Dialog mit mehreren Personen enden. Digital fehlt diese Dimension des Spontanen, Zufälligen. Uns beschäftigt deshalb auch, wie respektive wann wir wieder zum optimalen Mix von Büroarbeit und remote work gelangen, auch um neue KollegInnen besser ins Team zu integrieren.
Die d’art design Gruppe: Sitz im Haus am Pegel am Neusser Zollhafen.
Wird der Mix aus physischen und Onlinebegegnungen in der Büroarbeit bleiben? Wie sieht die Arbeitswelt von morgen aus?
Zurzeit findet gesamtgesellschaftlich ein vorsichtiges Herantasten an eine neue Arbeitswelt statt. Aber niemand kann sagen, wie es genau weiter geht. Brauchen wir weniger Büroraum, wie man oft hört? Nicht unbedingt. Es ist zwar richtig, dass durch remote work Büroflächen eingespart werden können. Aber es verschiebt sich gleichzeitig die Nutzung dieser Büroflächen.
Als Architekten geht es uns um die Qualität von Arbeitswelten. Büros dürfen nicht einfach aus ökonomischen Gesichtspunkten geplant werden, sie müssen den Blickwinkel der Mitarbeitenden aufnehmen. Büroflächen werden deshalb in Zukunft anders bespielt werden.
Wie kann eine solche Umnutzung aussehen?
Durch die Nutzung von Smartphones, Laptops, iPads und Cloud-Servern sind wir alle viel mobiler geworden. Der ideale Arbeitsplatz besteht nicht mehr aus einem Normtisch mit Telefon und Computer, sondern auch einmal aus einem Sofa, einer Lounge oder einer Fläche, die konzentriertes Arbeiten fördert oder aus allem zusammen. Man kommt weg von Standardausrüstungen zu Räumen für verschiedene Arbeitssituationen.
Es entstehen auch fließende Übergänge von privater und Arbeitssituation. Im Büro ist plötzlich mehr Privates drin. So entsteht aus der binär getakteten Work-Life-Balance ein neuartiger Work-Life-Flow.
Aus starren «immobilen» Strukturen wird also vielmehr eine lebhafte Diskussion über Raumqualitäten, den gewünschten Mitarbeiter-Erlebnissen und benötigten Werkzeugen für dieses neue Arbeiten. Das führt uns weg von den tradierten Büropalästen, hin zu grundsätzlichen Fragen nach Bürokultur und Sinn von Unternehmen oder den Marken dahinter.
Daher gibt es kein Allgemeinrezept einer neuen Arbeitswelt, sie ist nicht für alle Unternehmen gleich, es gibt keinen «Trend» mit Standardrezepten. Eine Bürowelt muss über die Analyse des Mitarbeiterstamms geplant werden und welcher Nutzen für die Mitarbeitenden Sinn macht. Sie darf nicht aus der Fläche heraus entwickelt werden, die Unternehmenswerte müssen authentisch umgesetzt werden. Das ist ein entscheidender Ansatz für die Planung.
Preisgekrönte Auftritte von d'art design auf der EuroShop, Düsseldorf.
Ein Kerngeschäft vor Covid von d’art design war die Inszenierung von Messeauftritten für seine Kunden. Welche Zukunft sehen Sie für die großen Leitmessen in Deutschland, wie geht es jetzt weiter?
Was die Stimmungslage unserer Kunden betrifft besteht eine große Unsicherheit, weil sich Planungen wöchentlich ändern können. Wir wissen aber, dass unsere Kunden möglichst schnell wieder zurück zur Messe wollen. Sie sagen: Abschlüsse vollziehen, das ist nicht digital ersetzbar.
In den nächsten Jahren werden wir zwar noch mit Reiserestriktionen und damit weniger Messebesuchenden leben müssen. Die ganz großen Branchenmessen werden deshalb kurzfristig kleiner ausfallen. Der zweite Grund dafür liegt im Umweltdenken, weil Firmen erkannt haben, wie groß der ökologische Fußabdruck bei Auslandreisen ist.
Covid hat diese Prozesse nicht verursacht, aber beschleunigt. Unsere Kunden haben sich schon vor der Pandemie überlegt, was sie auf einer Messe vor Ort bieten wollen und was digital und welche Chancen Online für eine Erweiterung eines Messeauftritts über einen viel längeren Zeithorizont bietet.
Aber sie haben auch erkannt, dass ohne Messe keine Zufallsbegegnungen entstehen. Das kann Online nicht. Wir prognostizieren nach der digitalen Fatigue eine Rückkehr der Nähe.
Wie haben ihre Kunden in den zwei Pandemiejahren auf die Messeabstinenz reagiert?
Eine Entwicklung, die wir beobachteten, war das Entstehen von firmeneigenen Markenräumen auf dem Unternehmensgelände, Markenräumen, Showrooms und so weiter. Es war eine klare Tendenz feststellbar zu Festeinbauten. Es entstanden firmeneigene Ausstellungsräume, die stark digital geprägt waren.
Diese Entwicklung in Richtung permanenter Markenräume wird weiter gehen. Und trotzdem kann er nicht das ersetzen, was sich auf Messen und Events abspielt: der Branchentreff. In der Kombination von temporären und permanenten Markenarchitekturen, ergänzt um digitale Technologien, funktioniert das alles gut. Und man verstärkt das eine, wenn das andere nicht möglich ist. Aber keine, weder temporäre noch permanente noch digitale Welt, funktioniert allein für sich. Es ist die Kombination, die ihre Stärke ausmacht.
Interview: Urs Seiler
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