Corona hat uns allen die Schwächen von veralteten Geschäftsmodellen vor Augen geführt. Jetzt gilt es für viele Branchen und Unternehmen, sich neu aufzustellen. Markenexperte Rolf Gruber sagt, wie dies gelingen kann.
by Rolf Gruber | 8. Oktober 2020

Rolf Gruber, Veränderung löst bei den Menschen zuerst einmal Ängste aus. Wie gelangt ein Unternehmen zu Veränderung?
Das ist eine sehr, sehr schwierige Frage ohne allgemeingültige Antworten. Ich kann nur situationsbedingte Tips geben.
Denn: Was heißt verändern? Das ist immer ein großer Prozess. Veränderung bedeutet, neue Märkte aufzubauen, da ist schnell ein Jahr vorbei. Wenn ein Unternehmen nicht bereits mit einem zweiten Standbein in einen Veränderungsprozess steckt, dann beginnt die Arbeit bei Null. Ich habe immer gesagt: Veränderung ist gut, aber man muss wissen, wohin.
Wir alle haben ja auf Videokonferenzen und Webinars umgestellt. Das ist gut und recht, aber wie wir alle gemerkt haben, ist online wegen seiner emotionalen und haptischen Beschränkungen nicht das Gelbe vom Ei. Ein Beispiel: Als Dozent hören mir die StudentInnen im Hörsaal zu, und nicht nur mir, es entsteht ein aktives Mitmachen, ein multilateraler Dialog. Das alles passiert an einem Webinar nicht, die Studenten hängen spätestens nach 30 Minuten durch.
«Veränderung bedeutet, sich innerhalb
seiner Kernkompetenzen zu erneuern.»
Wenn ich die Veränderungsnotwendigkeit erkenne, aber nicht selber im Stande bin, sie herzustellen: Warum nicht externe Hilfe suchen?
Das ist der richtige Ansatz, wenn man sich einmal aus der Passivitätsstarre gelöst hat. Man kann einen Spezialisten suchen für Unternehmensentwicklung oder Innovationsprozesse, jemand der Bescheid weiß, wie und in welchen zusätzlichen Märkten und Nischen ein Unternehmen mit seinen etablierten Kompetenzen zusätzlich aktiv werden kann. Die Fragestellung lautet: Wie und in welchen sind kompatibel mit unserem bisherigen Kerngeschäft? Veränderung bedeutet, sich innerhalb seiner Kernkompetenzen zu erneuern. Jochen Witt sagt zum Beispiel auf dieser Plattform, dass das digitale Geschäft für Messeveranstalter nur Sinn mache, wenn es das physische Geschäft stärke. Genau das ist der richtige Ansatz.
Der Slogan der Stunde lautet «digitale Transformation». Müssen alle Unternehmen, die jetzt wegen Corona in der Krise stecken, technologisch transformieren?
Die Antwort lautet «Jein». Man könnte wegen des aktuellen Diskurses vielleicht meinen, ein neues Business müsse auf Teufel komm’ raus technologisch gesteuert sein. Es gibt viele Geschäftsfelder, deren Geschäftsmodell nicht digital transformiert sein muss. Nehmen wir als Beispiel einen Food Truck: Du kannst Dir vielleicht mit Technologie deine Community aufbauen. Aber die ist nicht so wichtig wie die Sichtbarkeit und Anfassbarkeit des Trucks mit seinen Produkten. Man meint, Innovation müsse immer technologiegetrieben sein. Das ist nicht so.
Auch Messen stehen jetzt auf dem Prüfstand: Wird es je wieder zum #oldNormal mit Megamessen und überdimensionierten Messeständen kommen? Was wird sich jetzt ändern?
Die Zukunft der Messewirtschaft wird von der Entwicklung der Reisemöglichkeiten abhängen. Man liegt wohl nicht falsch mit der Prognose, dass kleinere, regionale oder allenfalls nationale Messen mit weniger MessebesucherInnen aufgrund der bestehenden Reiserestriktionen gewinnen werden, weil man relativ schnell und ungehindert reisen kann.
Parallel werden wohl die ganz großen sogenannten Weltleitmessen verlieren aus ebendiesen Gründen. Allgemein gesprochen sind Messen aber nicht tot, man wird sich wieder an Messen orientieren. Denn es gibt keinen Zweifel: Menschen wollen sich wieder an Netzwerkanlässen real begegnen und sie wollen auch wieder geballt auf Messen neue Geschäftskontakte knüpfen. Wir haben Kunden, die sich gerade für Ihre Branchenmesse im 2021 angemeldet haben. Warum: Weil sie wissen, dass sie auf ihrer Messe auf positive Resonanz stoßen werden. Dieser Dialog funktioniert so geballt nicht auf dem Internet und auch nicht im Einzelsprung durch Aussendienst-Aktivitäten.
Wenn die großen Megamessen unter Druck kommen, was geschieht dann mit den teilweise leerstehenden, teuren Messehallen?
Das wird sich verhalten wie mit veralteten Industriegebieten. Sie werden umgenutzt. Nehmen wir als Beispiel stillgelegte Bergwerke, die als Naturlandschaften und mit Museen verändert werden. Nehmen wir den Industriegiganten Sulzer, dessen Areal in Winterthur bei Zürich in ein tolles neues Zukunftsprojekt erweitert wird. Umnutzungen bieten große Chancen und wenn man sie richtig angeht, kann damit auch Geld verdient werden.
Rolf Gruber ist Inhaber der Markenagentur Richards & Gold in Zürich, Dozent IFZ und Autor von Kompaktwissen in Markentechnik. 100 + 1 Tipps für eine kraftvolle Identität. Brand Power für Unternehmen. Verlag: BoD – Books on Demand. ISBN: 978-3-7504-0814-2. Erhältlich via Amazon.
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