Zalando eröffnet Shops und Netflix Kinos. Das Digitale braucht das Reale! Aber hybride Veranstaltungen sind noch lange nicht zu Ende gedacht. Interview mit den Raumwelten Vordenkern Prof. Ulrich Wegenast und Dieter Krauß. Raumwelten gehen am 18. November Online unter Integration von Netzwerkmöglichkeiten .
by Urs Seiler | 16. November 2020
Ulrich Wegenast und Dieter Krauß, inwiefern müssen Szenografen in hybriden Technologien eine Kompetenz entwickeln, wo das nicht bereits der Fall ist?
Der Messe-, Ausstellungs- und Retailbereich war bereits vor der Corona-Pandemie einem starken Transformationsprozess ausgesetzt. Covid19 hat diesen Prozess nun radikal beschleunigt. Bei unserer Veranstaltung Raumwelten beschäftigen wir uns seit 2012 mit hybriden Formaten – mit der Verbindung von digital und analog, virtuell und real. Von daher war es bereits vor der Pandemie unabdingbar, dass sich Szenografen im Team mit Digital Artists und Mediengestaltern intensiv mit neuen Formen von Kommunikation im Raum auseinandersetzen, die den physikalischen mit dem digitalen Raum verschmelzen, um neue Formen der Interaktion zu schaffen. Es ist aber definitiv nicht so, dass das Digitale die physische Begegnung abschafft. Im Gegenteil, die reale Onsite-Kommunikation, wird um so wertvoller, je mehr wir in die digitalen Welten, sei es im Bereich der Social Media-Kanäle, der Onlinemediatheken oder 3D Multiuser Plattformen, investieren. Wir sehen ja auch gegenteilige Tendenzen – Zalando eröffnet Shops und Netflix Kinos. Das Digitale braucht das Reale!
Der Vorteil der digitalen Raumwelten besteht darin, dass auch ein internationales Publikum teilnehmen kann. Wo liegen hier Zukunftschancen für die Raumwelten, eine globale oder wenigstens länderübergreifende Veranstaltung zu werden?
Dieter Krauß (oben): Raumwelten ist durch das breite und interdisziplinäre Spektrum der Themen in Deutschlands ein einzigartiges Branchenereignis für Kommunikation im Raum. 80 Prozent des Fachpublikums sind überregionale Besucher, viele aus der D-A-CH Region. Raumwelten online bietet durch sein Format aber vor allem durch den hohen Anteil internationaler Speaker und Simultanübersetzung deutscher Keynotes ein großes Potential, international noch stärker wahrgenommen und besucht zu werden. Mit den Programmteilen online haben wir die große Chance neue Communities im In- und Ausland zu erreichen, die ansonsten nicht zu Raumwelten nach Ludwigsburg anreisen würden.
«Szenografie muss radikal umgedacht werden.»
Sie haben gesagt, die Szenografie befände sich in einer Krise, die schon vor Corona eingesetzt hätte. Worin besteht denn die Krise für Szenographen und Architekten? Und was sind Wege aus dieser Krise?
Ulrich Wegenast: Szenografie musste und muss noch immer radikal umgedacht werden. Denn gerade wegen und nicht trotz der schwierigen Lage für Messen, Events, Museen, Handel, Theater und weitere Kulturinstitutionen haben sich neue Formate entwickeln müssen. Unser Panel von Janina Poesch und Sabine Marinescu gibt einen Einblick in diese aktuellen und noch entstehenden Begegnungs- und Vermittlungsformate: Welche konkreten Formate sind in den letzten Monaten gereift? Gibt es schon erste Erfahrungswerte? Wie können die neugewonnenen Erkenntnisse weiterentwickelt werden? Was können die Branchen voneinander lernen und wie könnten sie gemeinsame Wege beschreiten? Kann die Zukunft der Szenografie durch die veränderten Formate gesichert werden? Letztendlich ist heute die große Herausforderung von Szenografen, im realen Raum Distanz statt Nähe zu schaffen und – idealerweise – emotionale Begegnung durch die Medien zu erzeugen. (Anmerkung: B. Joe Pine spricht in diesem Zusammenhang von der notwendigen Demonstration von Sicherheit als von einem «Sicherheitstheater», das Szenographen inszenieren müssen.)
«Täglich von 17 bis 20 Uhr wird an den Raumwelten
der Spirit des realen Treffens in die
virtuelle Realität transferiert.»
In bezug auf die Raumwelten haben Sie von «digitalem Netzwerken» gesprochen. Wie kann Ihr Agentur-Publikum mit der auftraggebenden Wirtschaft online in einen Dialog kommen?
Dieter Krauß: Networking muss wie bei der realen Raumwelten Konferenz eine wichtige Rolle spielen, sonst würden wir unserem businessorientierten Auftrag nicht nachkommen. Das muss sicherlich in Zukunft einladender und atmosphärisch emotionalisierender sein als klassische Videokonferenz-Systeme, um attraktiv zu bleiben. Die von unserem Kooperationspartner Lightshape neu entwickelte «3D Multiuser Plattform – das digitale Get Together» ist dabei eine interessante Lösung, die es ermöglicht, dasTeilnehmerInnen sich auch ohne strikte Vorplanung begegnen können, um miteinander zu sprechen und zu networken. Täglich von 17 bis 20 Uhr wird so der Spirit des realen Get Togethers in die virtuelle Realität transferiert. User können sich im digitalisierten Innenhof des Kunstzentrums Karlskaserne frei bewegen, aufeinander zugehen und mit nahestehenden Personen über ihr Mikro sprechen. Außerdem wird der beliebte Raumwelten Pavillon Lichtwolke als digitales Objekt in dieser interaktiven 3D-Welt virtuell «aufgebaut». Das Networking der TeilnehmerInnen wird durch eigene Nutzerprofile der User und den offenen Live-Stream Chat angeregt.
Werden «hybride» Messen und Konferenzen bleiben oder werden sie wieder verschwin-den? Was glauben Sie ist der Anspruch von Messe- und MuseumsbesucherInnen?
Dieter Krauß: Wie schon erwähnt haben wir alle durch unsere Turbo-Digitalisierung ganz schnell ganz viel gelernt, was nicht nur bleiben, sondern sich auch weiterentwickeln wird, riesiges Potential für technische Innovationen und neue Geschäftsmodelle bietet. Die persönliche Begegnung ist für viele Kommunikationsanlässe unersetzbar. Aber digitale Anwendungen werden wie auch schon erwähnt interessante Möglichkeiten bieten, interessiertes Publikum anzuziehen, das nicht vor Ort sein kann. Ganz nebenbei, aber trotzdem gleichwertig wichtig, werden derartige digitale Kommunikations- und Begegnungsmöglichkeiten auch interessante Vorteile zur Erfüllung ökologischer Nachhaltigkeitsansprüche bieten. Wir werden uns deswegen auf die noch lange nicht zu Ende gedachten hybriden Veranstaltungen freuen dürfen!
Wie geht es weiter mit dem Internationalen Trickfilm-Festival Stuttgart (ITFS) der Film- und Medienfestival GmbH?
Ulrich Wegenast (oben): 2020 konnten Filmfestivals durch die Corona-Pandemie nicht in gewohnter Form stattfinden, schnelles Umdenken war angesagt. So ging das ITFS 2020 als reine Online-Ausgabe an den Start und hat dabei auch neue Zielgruppen erreicht. Doch ein Festival wie das ITFS lebt von der unmittelbaren Begegnung. Deshalb ist für 2021 eine hybride Version geplant, die Kinovorführungen und Präsenzveranstaltungen in den Innenstadtkinos und auf dem Schlossplatz und Games-Ausstellungen mit digitalen Anwendungen und dem virtuellen Raum in einer VOD- und Streamingplattform verbindet. Außerdem planen wir einen Livestream von unserem atmosphärisch bezaubernden Open Air auf dem Stuttgarter Schlossplatz.
Wir freuen uns sehr, dass wie Wettbewerbsbeiträge des zurückliegenden ITFS 2020, die nur online gezeigt werden konnten, nochmals 2021 auf der großen Leinwand präsentieren zu können! Eine Art Wiedergutmachung und Ausrufezeichen, dass wir uns vom Virus nicht unterkriegen lassen!
Interview: Urs Seiler
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