Oliver Schmitt und Juliane Jähnke gehören mit agendum zu den erprobten unabhängigen Messemachern in der internationalen Messewirtschaft. Zum 25-Jahr-Jubiläum interviewten wir Gründungspartner Oliver Schmitt. Mensch, der liebt ein offenes Wort!
von Oliver Schmitt || 19. November 2024
Juliane Jähnke und Oliver Schmitt von agendum: Gut lachen in der Messewirtschaft?
In Kürze
«Wir erleben ganz viele Menschen, die ausgepowert und erschöpft sind.
«Für die vielen Transformationserfordernisse bleibt leider oft wenig Energie übrig.
«Der Messeplatz Deutschland befindet sich inmitten einer Transformation, die so schnell nicht aufhören wird, vielleicht nie…
«Die Besuchenden werden selbstbewusster im Einfordern eines Return-on-time.
«Den gelegentlichen Messe Pessimismus halte ich für ungerechtfertigt und übertrieben.
«Mit Fleiss allein ist es überhaupt nicht mehr getan.
«Die Messewirtschaft wird in bezug auf Klimaneutralität konstruktiver Treiber für viele Wirtschaftszweige und Communities sein werden.
Oliver Schmitt, agendum ist seit Jahrzehnten als Messemacher in der internationalen Messewirtschaft unterwegs. Was bewegt Dich oder die Messewirtschaft zurzeit am meisten und lässt Dich nicht schlafen?
25 Jahre sind es heuer, um genau zu sein. Eigentlich müssten wir das Jubiläum von agendum noch verkünden… Sei’s drum, schlafen kann ich erfreulicherweise recht gut, vor allem, weil ich bei agendum mit Juliane eine grossartige Partnerin an meiner Seite habe. Wir ergänzen uns optimal und haben Freude an der gemeinsamen Arbeit.
Wie auch immer, ich werde natürlich von den Entwicklungen und Aussichten der Messewirtschaft bewegt. Etwas, das mich besonders umtreibt, betrifft die Mitarbeitenden und Verantwortlichen unserer Kunden. Diese müssen für denselben Output immer mehr Input leisten. Zudem fallen vielerorts die früher typischen Erholungsphasen im Hochsommer oder Dezember weg. Wir erleben ganz viele Menschen, die ausgepowert und erschöpft sind. Für die vielen Transformationserfordernisse bleibt da leider oft wenig Energie übrig. Das bewegt mich tatsächlich sehr.
Messen am Messeplatz Deutschland sind gemäss AUMA fast, aber nicht ganz, zurück, wenn man die Umsatzzahlen als Massstab nimmt. Covid hat immer noch einen tiefen Einschnitt hinterlassen. Befinden wir uns in einer Ära der Transformation? Was geht hier ab?
Ganz klar: Ja, der Messeplatz Deutschland befindet sich inmitten einer Transformation, die so schnell nicht aufhören wird, vielleicht nie. Die Ansprüche der Stakeholder von Messen wachsen kontinuierlich. Die Besuchenden werden selbstbewusster im Einfordern eines Return-on-time und die ausstellenden Unternehmen leiden unter einem ähnlich anhaltenden Kostendruck, wie die Veranstalter, die sich deshalb vielfach nicht trauen, höhere Preise von ihren Kunden zu verlangen.
Wir machen zugleich die Erfahrung, dass in Sachen Produktmanagement von Messen noch einiges an Luft nach oben ist: Eine selbstbewusste Positionierung im Produktlebenszyklus, überzeugende Leistungsversprechen oder echte Klarheit über die Bedürfnisse, vor allem der Besuchenden, da ist mancherorts Fehlanzeige.
Anders als am Messeplatz Deutschland herrscht in der Schweiz nach dem Ende der Weltleitmessen Baselworld und Automobilsalon Genf eine Art Messe-Pessimismus. Was läuft hier, etwa im Gegensatz zu Deutschland, falsch? Ist der Rückgang an Fachmessen oder ihr Verschwinden irreversibel?
Diesen Pessimismus nehme ich auch wahr, halte ihn aber für ungerechtfertigt oder jedenfalls übertrieben. Vielleicht hat sich in den Nullerjahren hier und da eine gewisse Hybris entwickelt und man wurde sich seiner Sache zu sicher. Aber die Erfolgszahlen waren seinerzeit, gerade gemessen an der Größe der Schweizer Volkswirtschaft, beeindruckend.
Heute und für die Zukunft sehe ich klare Chancen für einen starken Messestandort Schweiz. Wenn es den handelnden Akteuren gelingt, adäquate Formate für einen Markt mit völlig anderen Vorzeichen und Bedürfnissen zu finden als z.B. in Deutschland. Die Schweiz etwa ist so kompakt, dass alle alles innerhalb von einem Tag erledigen können, das ist doch ein Asset, das sich Events zunutze machen können. Und wenn sich die Kompaktheit auch in den Formaten widerspiegelt, dann können diese womöglich einen ganz anderen Mehrwert liefern als die Riesenmessen in Europa.
Und was die grossen Publikumsmessen anbelangt, so beherbergt die Schweiz mit Olma, Bea und Luga einige Leuchttürme, die eindrucksvoll zeigen, wo in Europa vorne ist.
Colin Fernando, Partner von Brand Trust, sagte an der letzten FAMA-Tagung in der Messe Dornbirn, der Begriff der Leitmesse sei ein Symbol für die mangelhafte Auseinandersetzung mit sich selbst. Das willst Du wohl nicht so stehen lassen, richtig?
Ich kann dieser Diagnose einiges abgewinnen. Weltleitmesse zu sein ist kein Wert an sich und wenn ich als Messe meine Existenzberechtigung nur daraus ableite, dann ist das meinen Stakeholdern womöglich irgendwann nicht mehr genug. Fernando zeigt ja den Weg auf, dass Messen sich auch mit den Ursachen ihres Erfolgs beschäftigen müssen und diesen dann als glaubwürdiges Kommunikationsmaterial nutzen können. Ich würde das noch ergänzen um die Notwendigkeit, sich auch mit den zukünftigen Erfolgsfaktoren und, ich sage es immer wieder, vor allem mit den Besucherbedürfnissen zu beschäftigen, die sind der Schlüssel für vieles.
Colin Fernando postuliert auch, dass es sich die Messewirtschaft nach Corona wieder zu einfach macht. Was ist Deine Diagnose?
Ich bin da recht milde gestimmt, denn ich sehe ja, wie sehr sich alle anstrengen, mithin bis zur totalen Erschöpfung. Zugleich ist es mit Fleiss eben überhaupt nicht (mehr) getan.
Ich vermisse manchmal mehr Einsicht, dass wir als Messewirtschaft in Sachen Business und Prozess Intelligence nicht gerade zu den Vorreitern gehören. Da wird doch Einiges jedes Mal wieder aus dem Vollen geschnitzt und nach Tagesform entschieden. Dass das auch anders geht, erleben wir mit einigen unserer Kunden, die hier ein lebendiges Interesse zeigen, professioneller zu werden.
Und das Kundenerlebnis, die Customer Journey, die ist an vielen Stellen wirklich grottenschlecht, da lassen wir unsere Aussteller und Besuchenden vielfach regelrecht im Regen stehen.
Last, but not least, finde ich, dass wir als Marketinginstrument Messe in Sachen Key Performance Indicator noch nicht wirklich überzeugen. Sogenannte Fachbesucherstrukturtests etwa klingen für mich nach «Sättigungsbeilage» (Danke Daniel Mutschlechner für dieses Begriff!) und stark nach den Achtziger Jahren des letzten Jahrunderts!
Der AUMA hat in seiner aktuellen Studie «Mehrwert von Messebesuchen: Wie Einzelreisen vermieden werden» soeben konstatiert, dass ein Messebesuch dank der Vielzahl an wahrnehmbaren Kontakten zwischen 4 und 13 Aussendienstbesuche und mit ihnen die entsprechende Umweltbelastung erspart, bei internationalen Messen 8 Reisen. Befindet sich die Messewirtschaft auf dem Weg zur Klimaneutralität?
Erstmal mein Kompliment an das Team des AUMA, denn das ist mal eine fantastisch-handfeste Studie, die einen ganz wichtigen Mehrwert von Messen wirklich leicht begreifbar macht. Toll gemacht!
Was die Ernsthaftigkeit anbelangt, wie die Veranstalter das Thema Nachhaltigkeit angehen, sehe ich ein vielschichtiges Bild. Einsicht und Erkenntnis sind auf jeden Fall da, dem entzieht sich keiner. Die Komplexität, die ich spüre, zeigt sich aber vor allem dort, wo es darum geht, Messekunden für Nachhaltigkeitsansätze dann auch tatsächlich zu gewinnen. Denn, Hand aufs Herz, wenn eine nachhaltige Lösung höhere Kosten nach sich zieht oder sich gar auf ein an der Messe gezeigtes Sortiment auswirkt, da wird es dann auch mal sperrig.
Alles in allem bin ich davon überzeugt, dass wir als Messewirtschaft, wie bei vielen Innovations- und Transformations-Themen, auch in diesem Fall konstruktive Treiber für viele Wirtschaftszweige und Communities sein werden.
Du sprichst von «sehr ermutigende(n) Erkenntnisse(n) aus Crowd-Engineering-Ansätzen in der Weiterentwicklung von Messen». Worum geht es hier? Wie funktioniert das? Wer nutzt das? Kann denn die Maschine fehlende Kreativität ersetzen?
Mit Maschinen hat das erstmal gar nichts zu tun, das ist ein Thema und ein Privileg der natürlichen Intelligenz…
Wir entwickeln und moderieren mit und für immer mehr unserer Kunden Crowd-Engineering-Prozesse, meist in Form von World Cafés, in denen diese viel über die Bedürfnisse und die Mindsets ihrer Kunden und Stakeholder lernen. Hier geht es auch darum, die Besucherseite auf Augenhöhe mitzunehmen. Das sind meist Ein-Tages-Anlässe, in denen Formate, Inhalte, Schwerpunkte, Inszenierung und Dramaturgie von Messen auf den Prüfstein gestellt werden.
Ohne Denkverbote, in einem kreativen Umfeld tauschen sich Teilnehmende an Themen-Tables zu verschiedensten Aspekten aus, die möglichst konkreten Mehrwert für Messekunden liefern sollen. Nebenbei wird dadurch die Loyalität zum Messeprodukt gestärkt und die Teilnehmenden vernetzen sich nochmal ganz neu untereinander. Das sind echte Win-Win-Win-Situationen, die auch noch Freude machen. Ganz klar mein Lieblingsthema derzeit.
Was erwartest Du konkret von der kommenden FAMA Herbsttagung für dein Kerngeschäft? Worauf freust Du Dich am meisten?
Was ich dem FAMA hoch anrechne: Hier geht es nicht nur darum, irgendeinen geeigneten Rahmen für Austausch und Networking zu schaffen - der Content selbst steht für Qualität. Das ist ein Erfolgsrezept, das sich alle Messen und Events stets zu nutzen machen sollten.
Ganz speziell freue ich mich in Köln auf den Afterglow, mit dem die Kollegen von Aditus ein Versprechen aus der letzten Herbsttagung in München einlösen. Wir müssen als Messemenschen generell wieder lernen, mehr zu feiern, das wird toll.
Und ich freue mich auf das B2C-Fachforum im Open-Space-Format. Vor Jahr und Tag durfte ich mal eine Session am B2C-Fachforum in der Kongresshalle am Zoo in Leipzig mit Stephan Peyer ein ähnliches Format aufziehen und das war der Hammer.
Interview: Urs Seiler
Bitte ergänze den folgenden Satz: «Auf der FAMA Messefachtagung vom 25. bis 26. November im Confex der Koelnmesse…
… werde ich mit ganz vielen Freund*innen und Gleichgesinnten die großartigste Branche der Welt feiern».
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