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Messe Frankfurt: «Wir hatten Angst vor den Pandemiefolgen»

Wolfgang Marzin, wie wollen Sie mit der Messe Frankfurt wieder auf 700 Millionen Euro Umsatz kommen?


by Wolfgang Marzin, 6. Oktober 2021 | Link zur Vertretung der Messe Frankfurt für CH/Li.




Wie gut ist die Messe Frankfurt durch die Krise gekommen? Besser als andere in Bezug auf die Beschäftigten. Von 2500 Arbeitsplätzen weltweit, davon 1000 in Frankfurt, sollen bis Ende 2022 zwar 150 Stellen abgebaut werden. Dies allerdings ohne Kündigungen, der Abbau geschieht über natürliche Fluktuationen.


«Viel länger hätte die Pandemie nicht dauern dürfen» sagt Frankfurts Messechef Wolfgang Marzin, «sonst wäre die Luft raus gewesen.»


«Wir hatten Angst, Digitalität könne uns alle treffen, unser Geschäft zerstören, als im März 2020 Großveranstaltungen verboten wurden.»


Dann kam aber relativ rasch, schon im Juni 2020, Entwarnung aus China, wo Messen mit 2500 Ausstellern und 150’000 BesucherInnen wieder Rekordwerte aufwiesen. «Seit man sich in China wieder live begegnen kann, will dort niemand mehr etwas von digitalen Messen wissen» sagt Wolfgang Marzin.


«Keine groben Fouls»

«Die Chancen stehen gut», sagt Wolfgang Marzin, «dass wir mittelfristig wieder an frühere Jahre anschließen können». «Wenn wir Glück haben, stehen wir im 2023 oder 2024 wieder, wo wir früher waren, aber mit tieferen Kosten.» Im 2019 war das ein Rekordumsatz von 736 Millionen Euro, der dann pandemiebedingt auf 257 Millionen zusammenbrach.


Wolfgang Marzin erklärt, wie seine Messegesellschaft die Krise hinter sich lässt. «Personalkosten sparen ist das größte Gift. Wir mussten niemanden entlassen. Wir haben keine groben Fouls begangen.»


Ein Coup war die Akquise der Fashion Show während der Pandemie, jetzt unter dem Namen Frankfurt Fashion Week bereits im Januar 2022 an den Start gehen soll.



Entwarnung

Entwarnung kommt jetzt nicht nur aus China. «Unsere Buchungsraten der Ausstellerbeteiligungen von Leitmessen im 2022 wie der Heimtextil oder der Ambiente liegen bei 70 bis 80 Prozent früherer Jahre. Diese prozentualen Anteile ziehen sich durch alle unsere Messen. Wir haben die Angst verloren.» (Bild oben: Die Indoor Air, Ausgliederung der Sanitär- und Klimamesse ISH Frankfurt).


Dass Messen schon bald eine Wiederbelebung erfahren könnten, geht auch aus einer Kundenbefragung der Messe Frankfurt (und zahlreichen weiteren) hervor. 97 Prozent der Unternehmen wollen weiterhin an Messen in Frankfurt teilnehmen. 67 Prozent wünschen sich reine Präsenzveranstaltungen. An der Umfrage haben sich 59'000 Firmen beteiligt.


Ein Wermutstropfen bilden die Reiserestriktionen für chinesische Gäste, die bei einer Rückkehr nach China eine zwei- bis dreiwöchige Quarantäne in einem Hotel leisten müssten und deshalb ausbleiben. «Hoffentlich kommen die bald wieder» sagt Wolfgang Marzin, «auf einer Ambiente sind das bis zu 10’000 BesucherInnen und 600 Aussteller und die fehlen jetzt.» Die 1998 ins Leben gerufene digitale Plattform NEXTRADE für Einkäufer von Konsumprodukten soll helfen, solche Engpasse auszugleichen.


Wohin das massenhafte Ausbleiben von ausländischen Ausstellern und BesucherInnen auf Leitmessen in Deutschland führen könnte, da hat Wolfgang Marzin wie viele andere eine klare Sicht: «Wir haben Weltleitmessen in Europa und Technologieführerschaft in Deutschland. Aber momentan sind die Schranken (Anmerkung: für Reisende) dicht. Das könnte dazu führen, dass die Weltleitmessen in Europa auf kontinentale Leitmessen reduziert werden.»


Welche Hoffnung besteht für das Messegeschäft? «Die Krise hat unsere Chancen für die digitale Verlängerung von Messen erhöht. Der ‘digitale’ Besucher, der nicht vor Ort teilnehmen kann, wird bleiben. Unsere Chance besteht jetzt darin, dass wir diesen oder diese digitalen BesucherIn unseren Ausstellern zuführen können. Dadurch wird die Relevanz von Messen wieder grösser.»


Neue Demut im Messegeschäft?

Wolfgang Marzin schildert den «Pandemieschock»: «Wir hatten bloß unsere alte Werkzeugbox. Aber da befanden sich keine Werkzeuge drin, wie man mit einer solchen Krise umgehen kann.»


Wo andernorts trotz hohen Millionenverlusten Boni (!) ausgezahlt werden, spricht Wolfgang Marzin von einer neuen Bescheidenheit bei der Messe Frankfurt. «Wir waren seit den 60er Jahren, seit das Messegeschäft nur noch die Richtung nach oben kannte, verwöhnt. Aber wir sind bescheidener und demütiger geworden.»


Und welches Fazit zieht Wolfgang? «Wir haben durchgehalten. Jetzt geht’s wieder los.» Die Messe Frankfurt strebt im Geschäftsjahr einen Umsatz von 500 Millionen Euro an.


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Interview: Urs Seiler

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